Artikel der Sächsischen Zeitung vom 12.08.2019
Wie der Wald uns hilft
Waldspaziergang im Hohwald statt Arztbesuch? Waldpädagogin Claudia Scharf ist von der Wirkung des Waldes überzeugt.
Claudia Scharf ist Diplom-Pädagogin und staatlich zertifizierte Waldpädagogin. Sie geht mit Naturliebhabern regelmäßig zum Waldbaden – wie hier im Hohwald. © Dirk Zschiedrich
Von Siri Rokosch 4 Min. Lesedauer
Wenn die Nase läuft oder der Kopfschmerz sich schon ankündigt, kann ein Ausflug in den Hohwald ratsam sein. Ein Waldspaziergang kann dabei helfen, das Immunsystem des Körpers zu unterstützen und zu stärken. Ein Trend, der langsam seinen Weg von Japan nach Deutschland findet.
Claudia Scharf, staatlich zertifizierte Waldpädagogin, ist in Sachsen eine der Ersten, die sich intensiv mit diesem Thema befasst und ihr Wissen an andere weitergibt. "Wissenschaftliche Untersuchungen dazu laufen in Japan bereits seit 2004", erklärt sie bei einem Termin mit der SZ im Hohwald. "Dabei wurde herausgefunden, dass ein vier- bis fünfstündiger Aufenthalt im Wald etwa 40 Prozent mehr Killerzellen im Körper aktiviert. Diese bauen sich dann erst nach etwa einer Woche wieder ab." Noch erstaunlicher sei aber, dass, wer zwei Tage im Wald verbringen würde, gleich einen Monat lang etwa 50 Prozent mehr Abwehrzellen im Blut hätte. "Wenn das menschliche Immunsystem hochfährt, werden also mehr weiße Blutkörperchen gebildet, sogenannte Killerzellen. Sie bekämpfen unter anderem körperfremde Keime", sagt die Waldpädagogin.
Grund dafür sind rein wissenschaftlich betrachtet die sogenannten Terpene. Diese flüchtigen organischen Substanzen finden sich in den ätherischen Ölen der Bäume, vor allem bei Nadelgehölzen. Diverse Studien von Professor Dr. Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio, dem Vater der Waldmedizin, hatten ergeben, dass diese organischen Verbindungen auf den Menschen positive Wirkungen haben.
Terpene sind Stoffe, die Pflanzen absondern, um untereinander Botschaften auszutauschen, mit dem Ziel, Schädlinge, Pilze und Bakterien abzuwehren. In der Natur gibt es rund 8 000 verschiedene Terpene. Beim Waldspaziergang werden sie über die Atmung oder die Haut aufgenommen.
In Japan und den USA ist die Waldmedizin bereits staatlich anerkannt und wird mit öffentlichen Fördergeldern finanziert sowie von Ärzten als begleitende Maßnahme in die Behandlung von Krankheiten integriert. Auch Claudia Scharf wünscht sich, dass das Waldbaden in Deutschland mehr Anerkennung bekommt. "Es wäre schön, wenn die Krankenkassen das Waldbaden als Heilmethode mit aufnehmen und unterstützen würden", sagt sie. "Yoga wird inzwischen auch bezahlt, und ich schätze die Heilkraft des Waldes sogar noch etwas höher ein als Yoga in geschlossenen Räumen."
Deutschlands erster anerkannter Heilwald steht auf Usedom. In ihm wachsen vor allem Buchen und Kiefern. Durch das milde Meeresklima werden dort vor allem Menschen mit COPD – einer chronischen Lungenerkrankung – und Stress bedingten Krankheiten wie Bluthochdruck behandelt. An der Universität Rostock wird derzeit eine zertifizierte Ausbildung zum Waldtherapeuten entwickelt.
Claudia Scharf hat ihre Ausbildung in der Nähe von Frankfurt am Main absolviert. Sie bietet derzeit rund um Radeberg und Dresden das sogenannte Waldbaden an. "Besser passen würde der Begriff Waldluftbaden", sagt sie. Denn viele Leute würden sie fragen, ob sie zum Waldbaden ein Handtuch mitbringen sollen. Doch nein. "Es geht hierbei um das Eintauchen in den heilenden Wald", erzähle sie.
Laut Claudia Scharf sei wissenschaftlich belegbar, dass das Walderleben viele positive Wirkungen auf den Menschen hätte. "Der Kortisolspiegel, ein Stresshormon, wird durch den Waldaufenthalt signifikant gesenkt. Der Ruhenerv wird aktiviert, der Blutdruck sinktund auch der Blutzuckerspiegel nimmt während eines Aufenthaltes im Wald ab", erklärt sie.
Beim geführten Waldbaden mit Claudia Scharf werden auch Atemübungen, Qigong, Übungen aus dem Yoga und Achtsamkeitsübungen durchgeführt. Die Waldpädagogin erklärt aber, dass auch jeder selbst etwas tun kann, ohne einen geführten Waldspaziergang: "Wichtig ist, dass man sich mal wieder fühlt wie ein Kind. Man entdeckt mit der Nase, riecht die frische Luft, schließt die Augen, fühlt und hört einfach den Geräuschen im Wald zu", beschreibt Claudia Scharf. Sie führt auch Kindergartengruppen und Schulklassen durch die Wälder und bringt ihnen die Achtsamkeit bei.
Es muss übrigens nicht immer der große Wald sein. Auch der Stadtpark mit Bäumen und Sträuchern würde die heilenden Wirkstoffe aussenden. Zehn Bäume mehr um einen Wohnblock herum, fanden Forscher in Tokyo heraus, würden den Gesundheitsstatus der Bewohner um statistisch sieben Jahre verjüngen.
Auch gemeinsame Studien aus Südkorea und Japan zeigen, dass es nicht der Spaziergang allein ist, der hilft. Eine Stunde durch den Wald gehen führte im Vergleich zu einem Stadtspaziergang zu niedrigerem Blutdruck und deutlich gesenkter Herzfrequenz.
Weitere Informationen gibt's im Internet unter www.pädagogikundnatur.de
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